SystemsX, die Schweizerische Initiative für Systembiologie, wurde Anfang 2008 für einen Zeitraum von 10 Jahren ins Leben gerufen, um Zentren für Forschungsprojekte aufzubauen, bei denen mathematische Modelle und Datenanalysen für jeden Entwicklungszustand von Organismen kombiniert werden. Schweizer Universitäten und Top-Forschungs-Institutionen bündeln seither ihre Ressourcen, um die Kräfte in der neuen Disziplin effizient zu bündeln. An einer Veranstaltung zum 10jähriigen Jubiläum im naturhistorischen Museum Bern legten Forscher der Forschungs-Initiative dar, weshalb die Schweiz frühzeitig Innovationen in der Systembiologie vorangetrieben hat.
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ie Systembiologie entwickelte sich aus dem Humangenomprojekt heraus, der Sequenzierung des menschlichen Erbmaterials, das im Jahr 2000 abgeschlossen werden konnte. Genetische Karten zeigten auf, welche Gene wo auf den Chromosomen verteilt sind. Die Entzifferung des Erbguts weckte grosse Erwartungen, vor allem im medizinischen Bereich. Dann jedoch zerstreuten sich die Hoffnungen. Die Forscher konnten die Sprache des Lebens nur buchstabieren, jedoch kaum je in innovative gewinnbringende Projekte umsetzen.
Die Systembiologie soll dies nun ändern. In der Systembiologie werden Systeme untersucht, die Eigenschaften aufweisen, die aus der Analyse der Einzelteile nicht ersichtlich sind. Dabei werden die Mechanismen und das Zusammenspiel der Komponenten innerhalb der Netzwerke analysiert, z. B. in einer Zelle oder in einer Wurzelspitze.
SystemsX stellt die erforderlichen Analysesysteme und die Infrastruktur zur Verfügung, um die immense Datenfülle, die sich aufgrund der neuen Technologien ergibt, verstehen und auswerten zu können. Das Datenmaterial für einzelne Zellfunktionen (Genom, Proteom) wird in einen Gesamtzusammenhang analysiert und potenzielle Wechselwirkungen am Computer simuliert, so dass Vorhersagen auch ohne Experimente im Labor möglich sind. Ziel ist es, komplizierte Zusammenhänge mithilfe statistischer Methoden auf einfache Grundlagen zurückzuführen. Die Idee dahinter: Durch die richtige Zusammenstellung der Daten zu einem Ganzen wird dabei etwas gänzlich Neues geschaffen. Man erhofft sich innovative Verfahren und Therapien in der Medizin und der Biologie. Hoffnungen, die sich seither mehr als erfüllt haben.
Organisation von SystemsX
Die Integration von Schwerpunkten in die Strukturen von SystemsX gelingt mithilfe so genannter RTD-Projekte, in denen Forschergruppen gemeinsam bestimmte Themen bearbeiten. Die einzelnen Institute sind unterschiedlich organisiert. Das Institut für molekulare Systembiologie der ETH oder das Zentrum für Biosysteme in Basel sind beispielsweise stark an Institute gebunden. Das Kompetenzzentrum für Systemphysiologie hingegen wird zwar von einer Hochschule aus koordiniert, ist aber von verschiedenen Institutionen getragen. Nach dem Aus für die SystemsX-Initiative werden die Kompetenzzentren in andere Strukturen integriert.
Beispiele für solche RTD-Projekte sind AgingX,AntibodyX, EpiPhysX, HostPathX, LipidX, MalarX, MecanX, MERIC, MicroScapesX, MorphogenetiX, NeuroStemX, PhosphoNet PPM, PlantGrowth2, SignalX, StoNets, SynaptiX, SysGenetiXTbX, TargetInfectX und TubeX. Diese systemintegrierend ausgerichteten Projekte befassen sich vor allem mit wissenschafts-relevanten Themen und mit übergeordneten Fragen, welche für alle Kompetenzzentren gültig sind, wie z. B. die der Vernetzung mit verschiedenen Industriebereichen, KMUs oder der klinischen Forschung in Spitälern.
Das SystemsX-Programm „young entrepreneurs“ fördert die Entwicklung von vielversprechenden Start-up-Unternehmen junger Wissenschaftler in vielfältiger Weise, um deren Existenz auf einem kompetitiven Markt zu sichern.
Die Forschungsinitiative SystemsX, mit der in der schweizerischen chemischen Industrie eine regelrechte Biologisierung der Pharma-Wirtschaft eingeleitet wurde, erhielt von der Regierung in den letzten 10 Jahren 220 Mio. Franken. 2.400 Forscher und 15 Universitäten und Institute arbeiteten erfolgreich an ca. 250 Forschungsprojekten. Die Initiative, von Beginn an, wurde mit einer begrenzten Lebensspanne gegründet und sie läuft in ihrem 10-jährigen Jubiläumsjahr aus.
Mit dieser Initiative ist es gelungen, die Schweiz als interdisziplinäres Systembiologe-Kompetenznetzwerk zu etablieren und knapp 30 publicprivate Partnerships für die vielfältigen Projekte ins Leben zu rufen (Abb. 1).
Zusammenspiel von Systembiologie und Synthetischer Biologie
Verbunden mit dem Ausbau der SystemsX-Initiative war eine neue Schwerpunktsetzung in Forschung und Lehre. Neben den bereits vorhandenen Bereichen Bioinformatik und System Engineering wurde der Bereich Synthetische Biologie etabliert. Die Synthetische Biologie ist eine der neuesten Fachrichtungen in der modernen Biologie, in der Biologen, Chemiker, Physiker, Informatiker und Ingenieure in einem interdisziplinären Ansatz neuartige biologische Systeme systematisch konstruieren.
Abb. 1: Jubiläumsausgabe des SystemsX-Newsletters: Unterschiedliche Disziplinen wie Physik, Mathematik, Medizin, Informatik und die Ingenieurwissenschaften sind in Kompetenzzentren zusammenfasst. (Quelle: SystemsX)
Die Durchbrüche in der Gentechnologie und der Biotechnologie bei der Untersuchung biologischer Wechselwirkungen werden durch den technologischen Fortschritt angetrieben.
Viele Forschungsprojekte in der Medizin und der Biologie drehen sich um zentrale Aspekte des Lebens: Warum wirken Medikamente nicht bei allen gleich? Wie können wir neue Therapien gegen Antibiotika-resistente Bakterienstämme entwickeln? Wie können wir gesund alt werden? Um Antworten auf diese Fragen zu finden untersuchen Systembiologische Forschungsansätze nicht nur einzelne Genveränderungen, sondern das komplizierte Wechselspiel zwischen verschiedenen Genen und Genprodukten. Dabei fokussiert die Systembiologie auf die Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Komponenten eines biologischen Systems – von den Genen via Proteine und Metaboliten bis hin zu den Organen, und zu den Netzwerken, die sie bilden, um sie gezielt anzupassen. Diese erfüllen dann als selbstreplizierende biologische Systeme die gewünschten Aufgaben, etwa eine höhere Prozessausbeute, weniger Nebenprodukte oder Resourcenschonung. Mithilfe solcher künstlichen Systeme lassen sich z. B. biologische Solarzellen, Moleküle für maßgeschneiderte Werkstoffe, Treibstoffe oder künstliche selbstregulierende Insulinzellen für Diabetes herstellen. Mit automatisierten Screening-Verfahren wird in verschiedenen Organismen nach neuen Funktionen und Eigenschaften von Proteinen gesucht. Dabei entstehen künstliche Mikroorganismen, die im Baukastensystem aus vorgefertigten DNA-Elementen zusammengesetzt werden um Kunststoffe, Medikamente oder Treibstoffe in großen Mengen herzustellen.
Systembiologie in der Medizin
So z. B. bei einer Kooperation des IBM mit dem Unispital Zürich. Am Universitätsspital Zürich testen Mediziner im Rahmen des Transferprojekts μFluidX ein innovatives Gerät für die Tumordiagnostik von IBM, mit dem die Erforschung von Krebserkrankungen nun unter Klinikbedingungen ermöglicht wird. Jeder Tumor unterscheidet sich nicht nur im Zelltyp, von dem er ausgeht, sondern auch auf genetischer Basis. Wenn die Gene vergleichbarer Tumoren verschiedener Patienten untersucht werden, findet man grosse individuelle Unterschiede. Systembiologische Verfahrenstechniken könnten die Krebstherapie revolutionieren: Gelingt es den Spezialisten, diese zu bestimmen und die betroffenen Gene zu inaktivieren, kann in vielen Fällen das Tumorwachstum zumindest signifikant verlangsamt – wenn nicht gar gestoppt – werden.
Ein Fernziel der Systembiologie ist die Behandlung von genetischen Krankheiten. Die dabei kreierten Komponenten und Systeme werden gelegentlich als „Biomaschinen“ bezeichnet. Sie weisen nicht alle Eigenschaften lebender Systeme, z. B. Fortpflanzungsfähigkeit oder einen Stoffwechsel auf. Diese Systeme können Zellen, aber auch Teile lebender Organismen oder lebende Organismen darstellen.
Roche Manager René Imhof, der die Initiative von Anfang an begleitete, hebt hervor, dass SystemsX eine wichtige Rolle bei der Entwicklung und Umsetzung von Innovationen innehatte.
Während der letzten 10 Jahre gab es 1.700 Veröffentlichungen in den 250 verschiedenen Projekten, teilweise in sehr prestigeträchtigen Zeitschriften wie Nature, Science und Cell. Die Initiative wirkte wie ein Katalysator für Businessideen und Startups. Sieben Startups sind bis heute auf dem Markt erschienen. Die Zusammenarbeit der Systembiologie mit der europäischen Union soll in Zukunft verstärkt werden. Die Schweiz spielt heute eine Führungsrolle auf der internationalen Bühne. Das bedeutet, dass in dieser Schlüsseltechnologie niemand an der Schweiz vorbeikommt.
20 Jahre Swiss Bioinformation Institute in Lausanne
Die Bioinformatik nimmt auch in den Life Sciences Industrien zunehmend eine Schlüsselrolle ein. Das Schweizerische Institut für Bioinformatik (SIB) als Partnerinstitution von SystemsX stellt der Life-Science-Forschung in den Bereichen Genomik, Proteomik und Systembiologie umfangreiche Bioinformatik-Ressourcen zur Verfügung. Es bietet Dienstleistungen wie die Bioinformatik-Forschungsinfrastruktur und fördert und koordiniert die Forschung der 65 Expertengruppen an Universitäten, und Partner. Auf europäischer Ebene ist das SIB der Schweizer Knotenpunkt des Horizon 2020 ELIXIR Projekts – das gesamteuropäische Bioinformatik- Programm, dessen Mission der Aufbau einer nachhaltigen, europäischen Infrastruktur für biologische Informationen ist.
Fazit
Das Jubiläum stellt auch gleichzeitig einen Abschied von SystemsX dar. Roche Manager René Imhof, der die Initiative von Anfang an begleitete, hebt hervor, dass SystemsX eine wichtige Rolle bei der Entwicklung und Umsetzung von Innovationen innehatte. Die nun flügge gewordenen Projekte können nun aufgrund ihrer Marktreife und ihrer guten Vernetzung zum großen Teil selbständig in der Forschungslandschaft oder dem Markt bestehen.